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Alternativloser Klimaschutz
André D. Thess
03. Februar 2022
Die Behauptung: Das Bundesverfassungsgericht schreibt in seinen Leitsätzen zum Beschluss der ersten Senats vom 24. März 2021 (Klimaschutzurteil): „Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Klimaschutz. Dies zielt auch auf die Herstellung von Klimaneutralität.“
Meine Analyse: Das Grundgesetz besagt in dem zitierten Artikel: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“
Die Herleitung der Aussage vom 24. 3. 2021 aus diesem Grundgesetzartikel ist keine pure juristische Deduktionsarbeit. Sie gründet sich – auch wenn dies in der Öffentlichkeit gern verschwiegen wird – auch auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Hierbei handelt es sich zum einen um die Erkenntnisse des Weltklimarates IPCC über die Kosten des anthropogenen Klimawandels. Zum anderen fließen jedoch auch wissenschaftliche Erkenntnisse darüber ein, wie man die Lebensgrundlagen künftiger Generationen kosteneffizient schützen kann.
Während es in der Wissenschaft weitgehend unstrittig ist, dass der Klimawandel weltweit finanzielle Schäden in Höhe eines einstelligen Anteils am globalen Bruttosozialprodukt erzeugt, liefert die Forschung keine eindeutige Aussage darüber, ob die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen oder die Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel kosteneffizienter ist. Der schwedische Professor for International Health Hans Rosling zitiert in seinem Sachbuch Factfulness statistische Daten über die jährliche Zahl von Todesopfern durch Naturkatastrophen, normiert auf eine Million Einwohner. Die Zahl ist von knapp 500 Toten in den 1930-er Jahren auf 10 Tote in den 2010-er Jahren gesunken. Pro Milliarde Erdbewohner kommen heute statt 500.000 nur 10.000 Menschen durch Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Erdbeben, Dürren oder Stürme ums Leben. Diese phänomenale Lebensrettungsgeschichte ist auf technologische Innovationen in den Bereichen Hochwasserschutz, erdbeben- und sturmsicheres Bauen sowie industrielle Landwirtschaft zurückzuführen. Hinzu kommen Wirtschaftswachstum und Globalisierung, die die finanziellen Ressourcen für die Umsetzung dieser Innovationen überhaupt erst schufen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Wirtschaftswachstum und technologischer Fortschritt auch in Zukunft Todesopfer durch Naturkatastrophen einschließlich Klimawandel wirksam und effizient absenken werden – vielleicht von 10 auf 1?
Nach meinem Wissen existieren keine vergleichenden Analysen über die Kosteneffizienz von Klimaschutz versus Klimaanpassung. Eine Gegenüberstellung der Kosten erfolgreichen Katastrophenschutzes und der Kosten des ineffizienten deutschen Klimaschutzes legt jedoch die Vermutung nahe, dass die Klimaanpassung eine deutlich höhere Kosteneffizienz für künftige Generationen besitzt als die Kläger dem Bundesverfassungsgericht als vermeintlichen breiten wissenschaftlichen Konsens präsentiert haben.
Mein Fazit: Die vom Bundesverfassungsgericht formulierte Alternativlosigkeit des Klimaschutzes lässt sich nicht zweifelsfrei aus wissenschaftlichen Erkenntnissen herleiten. Daraus folgt, dass die Gesellschaft Abwägungen über die kosteneffizienteste Kombination aus Klimaschutz und Klimaanpassung treffen muss. Klimaschutz ist wichtig, aber nicht alternativlos.
Der Autor: André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“ Kontakt: energiewendemaerchen@t-online.de