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Friedrich Engels und die Sektorkopplung
André D. Thess
24. Februar 2022
Die Behauptung: Die Deutsche Energieagentur dena schreibt unter der Überschrift Sektorkopplung: Alles mit allem verbinden: „Die dena engagiert sich für die sogenannte Sektorkopplung, also die Verzahnung von Strom, Wärme und Mobilität, damit die erneuerbaren Energien optimal genutzt und integriert werden können“.
Meine Analyse: Meinem Physikstudium an der TU Dresden von 1982 bis 1987 verdanke ich eine solide Ausbildung in Thermodynamik und Marxismus-Leninismus. Das erste Fach hat mir bei meinem Weg in die Energieforschung geholfen. Das zweite war nicht gänzlich nutzlos. Das von Friedrich Engels formulierte Dialektische Gesetz über die Negation der Negation bietet mir nämlich Orientierung im energiepolitischen Wirrwarr unserer Zeit. Die auf Friedrich Hegel zurückgehende These besagt, dass eine alte Qualität durch eine neue negiert wird, um nach einer weiteren Negation auf höherer Stufe wiederhergestellt zu werden. Aber was hat das mit Sektorkopplung zu tun?
Die Gesetze der Thermodynamik wurden von Josiah Willard Gibbs in den 1870-er Jahren als Gibbssche Fundamentalgleichung dU = TdS – pdV + µdN in ihre ultimative Form gebracht. Man kann diese Formel so verstehen, dass sich die Energie eines Systems durch Zufuhr von thermischer Energie (TdS), mechanischer Energie (-pdV) und chemischer Energie (-µdN) um den Betrag dU ändern kann. Dies ist die Weltformel der Energiewandlung. An ihrer Gültigkeit hat sich in den vergangenen 150 Jahren nichts geändert. Zuverlässig arbeitende Kohlekraftwerke, Kernkraftwerke, Verbrennungsmotoren, Flugzeugturbinen, Klimaanlagen und Schnapsbrennereien sind ein millionenfacher Triumph der Gibbsschen Fundamentalgleichung. So erfreulich diese Aufgeräumtheit für Ingenieure war, bot sie doch zum Leidwesen von Weltverbesserern, Schaumschlägern und Besserwissern keinerlei Betätigungsfeld für politischen Aktivismus. Und so nimmt es nicht Wunder, dass sich gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts fachfremde Kräfte der Energietechnik bemächtigten.
In einer ersten Negation schufen sie die All Electric Society. Dort sollte Strom ausschließlich aus Sonne und Wind kommen. Wärme würde durch Wärmepumpen erzeugt, Verbrennungsmotoren für die Mobilität würden überflüssig. Thermodynamik ebenfalls. Die Mehrkosten für diese schöne neue Welt sollten bei einer Kugel Eis pro Monat liegen. Irgendwann wurde klar, dass dies nicht stimmte.
Statt einzugestehen, dass die All Electric Society weder realistisch noch bezahlbar ist, setzte man zur zweiten Negation an. Es wurde das Konzept der Sektorkopplung verkündet. (Bezeichnenderweise ist der zugehörige Wikipedia-Artikel nur auf Deutsch vorhanden und vom anonymen Vollzeitschreiber Andol mitgestaltet - ein starkes Indiz für Propaganda.) Als Urheber werden Michael Sterner und Ingo Stadler zitiert – zwei Wissenschaftler, die bislang nicht durch übermäßige Präsenz in internationalen Fachzeitschriften auffielen, stattdessen durch Auftritte auf Diskussionsforen und die Exegese von Energiewendedokumenten. Schaut man sich den fachlichen Inhalt der Sektorkopplung an, so zeigt sich, dass es sich lediglich um eine propagandistisch aufgeschäumte Variante der klassischen Thermodynamik handelt. Nach zwei Negationen wurde also die Thermodynamik auf höherem Niveau wiederentdeckt – Engels und Hegel lassen grüßen.
Mein Fazit: Die Sektorkopplung ist eine dialektische Wiedergängerin der klassischen Thermodynamik auf hohem philosophischem Niveau. Sie enthält keine neuen Erkenntnisse und ist möglicherweise nur erschaffen worden, um das Scheitern der Eiskugeltheorie zu bemänteln.
Der Autor: André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“ Kontakt: energiewendemaerchen@t-online.de