Energiewendemärchen der Woche 16-2022

Kompensation von Flugreisen

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Kompensation von Flugreisen

André D. Thess

21. April 2022

Die Behauptung: Die Lufthansa schreibt auf Ihren Webseiten: „CO2-neutral fliegen wird jetzt Dank eines neuen Angebots für Miles & More Kunden noch leichter. Kunden wird ab sofort in der Miles & More App der jeweilige CO2-Ausstoß ihres Fluges angezeigt. Diesen können sie mit nur wenigen Klicks direkt kompensieren.“ Ähnliches schreiben Eurowings und andere Fluggesellschaften.


Meine Analyse: Das Prinzip der Kompensation ist auf den ersten Blick einleuchtend. Nach dem Buchen eines Flugtickets überweist der Fluggast einem Anbieter wie beispielsweise atmosfair oder myclimate eine Spende, deren Höhe sich an der CO2-Emission des Fluges bemisst. Im Gegenzug erhält der Passagier ein Kompensationsversprechen. Der Anbieter finanziert mit dem gespendeten Geld Projekte, die Beiträge zur Emissionsreduktion leisten. Die Projekte werden von Inspektoren der Gold Standard Foundation geprüft und die Prüfberichte anschließend im Internet veröffentlicht. In der Theorie ist die CO2-Kompensation klimaökonomisch effizient, sofern die CO2-Vermeidungskosten der Kompensationsmaßnahmen niedriger sind als eine direkte CO2-Vermeidung, etwa durch synthetisches Kerosin. Doch in Realität ist die CO2-Kompensation von Flugreisen ein Beispiel für die zeitlose Gültigkeit des Mephisto-Spruchs: „Doch grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum.“

Im Sommer 2019 wurden bei der Recherche zum Buch „Sieben Energiewendemärchen?“ sämtliche Energieprojekte deutscher Kompensationsanbieter analysiert. Für jedes wurde das Internet nach Messdaten durchforstet, um die eingesparte Menge an CO2 zu prüfen. Das Ergebnis war ernüchternd.

Für kein Projekt gelang es, die CO2-Einsparung aus öffentlichen Daten zu berechnen. Falls die nichtöffentlichen Einspeisedaten des mit sechs Millionen Euro deutschen Steuergeldes geförderten Solarkraftwerks „India One“ stimmen, sind dessen CO2-Vermeidungskosten 30-mal so hoch wie die Richtwerte bei atmosfair. Somit wäre das Kompensations­versprechen nur zu drei Prozent erfüllt und die Kompensationsmaßnahmen wären teurer als das Tanken von synthetischem Kerosin. Einzelheiten sind im zitierten Buch beschrieben.

 

Mein Fazit: Die CO2-Kompensation ist das Paradebeispiel für Pfusch am Klima und sollte dringend reformiert werden. Konkrete Vorschläge dazu werden hier unterbreitet. Statt Kompensations-Okkultismus zu fördern, könnten Klimaschützer in Zukunft überprüfbare Maßnahmen ergreifen – zum Beispiel klimaneutrale Treibstoffe tanken.

 

Der Autor: André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“ Kontakt: energiewendemaerchen@t-online.de

 

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