Energiewendemärchen der Woche 42-2021

Schnelllade-Legenden

Schnelllade-Legenden

André D. Thess

21. Oktober 2021

 

Die Behauptung: Elektroautohersteller, Energieversorger und Politiker kreieren phantasievolle Kunstworte wie „Supercharger“ und „Schnellladesäulen“ um die langen Ladezeiten für batterieelektrische Autos schönzureden. Die EWE Go GmbH spricht gar von „Turbo-Schnellladesäulen“ und schreibt über deren Leistung: „Turbo-Schnellladesäulen wie beispielsweise der hypercharger von alpitronic erlauben eine Ladeleistung von bis zu 300 kW.“

Meine Analyse: Stellen wir uns für einen Moment vor, die Automobilgeschichte wäre andersherum verlaufen. Nach über einhundert Jahren Elektromobilität mit stundenlangem Stromtanken an 300-kW-Schnellladesäulen kämen Autos mit Verbrennungsmotoren und Benzin-Zapfsäulen. Dann würde man fragen: Welche „Ladeleistung“ hat eigentlich eine Zapfpistole?

Nehmen wir für einen Moment an, durch eine Zapfpistole flösse ein Liter Benzin pro Sekunde. Dieser enthält rund zehn Kilowattstunden an chemischer Energie. Eine Stunde hat 3.600 Sekunden, also entsprechen zehn Kilowattstunden 36.000 Kilowattsekunden. Fließt diese Energiemenge jede Sekunde durch die Zapfpistole, so ist dies äquivalent zu 36.000 Kilowatt oder 36 Megawatt! In der Realität ist der Volumenstrom beim Tanken etwas geringer, sagen wir, es handelt sich um einen halben Liter pro Sekunde. Daraus folgt, dass beim Tanken flüssiger Treibstoffe durch eine Zapfpistole knapp zwanzig Megawatt an chemischer Energie fließen. Selbst wenn wir diese Zahl unter Berücksichtigung des Motorwirkungsgrades von etwa einem Fünftel auf einen Strom an Antriebsenergie umrechnen, verbleiben immer noch vier Megawatt! Das ist zehn Mal so viel wie in der Turbo-Schnellladesäule. Vor diesem Hintergrund müsste die banale Zapfpistole eigentlich als Turbo-Hyper-Ladesystem bejubelt werden.

Bei dieser Gelegenheit ist es noch lehrreich, sich zu vergegenwärtigen, dass beim Betanken einer Boeing 747 für einen Interkontinentalflug (Treibstoffmasse knapp 200 Tonnen, Tankdauer eine Stunde) ein Energiestrom von fast zwei Gigawatt ins Flugzeug fließt. Das entspricht der Leistung eines mittleren Kohlekraftwerksblocks.

Mein Fazit: Batterieautos sind eine innovative und für Kurzstrecken möglicherweise zukunftsträchtige Mobilitätsform.  Doch wenn wir ehrlich sind, müssten wir die Batterieauto-Ladesäulen „Langsamladesäulen“ und die guten alte Zapfsäule „Schnellladesäule“ nennen.

 

Der Autor: André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“ Kontakt: energiewendemaerchen@t-online.de

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