Energiewendemärchen der Woche 44-2021

Jugendwahlrecht fürs Klima?

Jugendwahlrecht fürs Klima?

André D. Thess

04. November 2021


Die Behauptung
: Bei einer Diskussionsveranstaltung forderte kürzlich eine junge Teilnehmerin aus dem Publikum: „Die Jugend ist am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Deshalb brauchen wir ein Wahlrecht ab 16 Jahren.“

Meine Analyse: In zahlreichen Sphären unseres Lebens herrscht Einigkeit, dass Eigenleistung Voraussetzung für Mitbestimmung ist. In Kultur-, Sport- und Wohltätigkeitsvereinen sind nur zahlende Mitglieder stimmberechtigt. Gleiches gilt für Parteien und Religionsgemeinschaften.

Das Mitbestimmungsrecht bei der Gestaltung unseres Staates ist heute – anders als beim Dreiklassenwahlrecht im deutschen Kaiserreich – nicht an die Zahlung von Steuern gebunden. Erwachsene Wahlberechtigte tragen nicht nur durch bezahlte Arbeit, sondern auch durch Kindererziehung, Pflege und gesellschaftliches Engagement zum Funktionieren unseres Landes bei. Ich bin deshalb der Meinung, dass die Frage nach dem Wahlrecht für 16- und 17-jährige an die Frage gekoppelt sein sollte, welchen Beitrag sie für die künftige Entwicklung unseres Gemeinwesens leisten. Schauen wir uns einige Fakten an.

Die in PISA-Studien erfasste naturwissenschaftliche Kompetenz deutscher Schüler ist in den Jahren 2012 bis 2018 von 524 auf 503 Punkte abgesunken. Im PISA-Gesamtranking des Jahres 2018 belegten deutsche Schüler einen bescheidenen Platz 18 – schlechter als die europäischen Länder Estland, Finnland, Polen, Irland, Slowenien, UK und Niederlande. Meine eigenen Beobachtungen der Leistungen von Studenten des Maschinenbaus auf dem Gebiet der Thermodynamik in meinen 23 Jahren Tätigkeit als Universitätsprofessor belegen – bei gleichbleibender Schwierigkeit von Thermodynamik-Klausuren – ein kontinuierliches Absinken der Leistungen. Daraus leite ich ab, dass die Jugend unseres Landes – entgegen anderslautenden Beteuerungen auf Demonstrationen – ihrer Verantwortung für die Sicherung unseres künftigen Wohlstandes nicht gerecht wird. Ein befreundeter Gymnasiallehrer aus Lübbecke hat seine Beobachtung auf den Punkt gebracht: „Ich habe vor der Bildungskatastrophe mehr Angst als vor dem Klimakatastrophe.“

Mein Fazit: Da Minderleistungen in der Schule für das deutsche Bruttosozialprodukt der Zukunft ein mindestens ebenso großes finanzielles Risiko darstellen wie der Klimawandel, ist ein Wahlrecht unter 18 Jahren meines Erachtens unbegründet.

 

Der Autor: André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“ Kontakt: energiewendemaerchen@t-online.de

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